Kaufen wir zu viel Spielzeug für unsere Kinder?
In unserem heutigen Gastbeitrag von Wheelmum, liebevolle Mama und gelernte Erzieherin, mit einem Jahr als kommissarische Leitung sowie 5 Jahre Erfahrung in einem Kinderhaus gehen wir dem Thema nach ob es auch ein zu viel an Spielzeug geben kann. Wir als Eltern verspüren immer den Druck, einer lernreichen frühkindlichen Entwicklungsphase mit Entertainment-Status. Natürlich gibt es stets zwei Seiten und gutes Spielzeug kann in der Tat eine ehrliche Bereicherung sein, so heute geht es um den Grundsatz:
Wie viel Spielzeug braucht ein Kind?
Um ganz ehrlich zu sein: keines. Das möchte natürlich niemand hören und es bereitet auch Erwachsenen Spaß schönes für Kinder zu kaufen, ganz gleich in welchem Alter diese sind.
Leider ist es häufig der Fall, dass es zu viel gibt – auch hier ist das Alter ziemlich zweitrangig. Es geht nicht um Quantität sondern um Qualität. Und Qualität kann nur entstehen, wenn die Masse einen überschaubaren Rahmen hat. Denn zu viel Spielzeug verhindert das intensive kindliche Spiel. Kinder haben so keine Chance in einen echten Flow zu kommen, wenn sie immer wieder mit neuen Spielzeugreizen überflutet werden.
Wie wirkt zu viel Spielzeug auf das Kind?
Man kann sich diese Situation ungefähr so vorstellen: Schließen Sie die Augen und stellen sich einen leeren Raum vor. Die Wände und Decke sind weiß, ein schöner Holzboden liegt im Raum. Ansonsten ist er leer.
Das gefällt Ihnen nicht, sie möchten es gerne wohnlicher haben. Sie streichen Sie Wände in ihrer Lieblingsfarbe, legen einen schönen Teppich hinein und kuscheliges, bequemes Sofa findet seinen Platz. Daneben steht eine Grünpflanze. Für die Wand wählen sie noch ein schönes Bild aus und ein kleiner Tisch rundet das Ganze ab. Sie fühlen sich wohl.
Nach und nach entdecken Sie weitere Dekorationselemente die Ihnen gut gefallen. Diese stellen Sie in den Raum. Sie entdecken einen weiteren Teppich und legen auch diesen hinein. Mit der Zeit finden Sie einen schönen Sessel und einen ganz bequemen Sitzsack. Eine Hängematte wäre bestimmt auch gemütlich und die gibt es gerade zu einem Schnäppchenpreis. Die Wände füllen sich immer mehr mit tollen Bildern. Alles sind schöne Einzelstücke. Sie haben sie geschenkt bekommen, ausgewählt oder gekauft. Die Gründe können vielfältig gewesen sein: Qualitativ hochwertig, oder gerade im Angebot. Es sieht hübsch aus und passt doch so gut ins Zimmer. Zum Wegwerfen zu schade oder ein ersehnter Wunsch.
Aber was passiert mit ihrem Wohlfühlraum? Schauen Sie sich um:
Die sorgfältig ausgewählte Wandfarbe ist kaum noch zu erkennen. Der Boden ist unter Teppichen und Möbeln verschwunden. Sie können im Raum kaum noch laufen, da alles zugestellt ist. Die Entscheidung wo Sie sich hinsetzten fällt schwer, weil es so viele Möglichkeiten gibt. Am liebsten wechseln sie deswegen ganz häufig, um keine bequeme Sitzmöglichkeit zu verpassen. Die Hängematte bleibt ungeachtet im Raum hängen. Die Grünpflanze geht ein, weil sie zu wenig Licht bekommt.
Die Ursachen für zu viel Spielzeug im Kinderzimmer
Würden Sie so ihren Wohlfühlraum einrichten?
Bei Kindern und ihrem Spielsachen passiert das ganz schnell und ohne jede böse Absicht.
- Man möchte einen Herzenswunsch erfüllen, der zwei Wochen später wieder vergessen ist.
- Eine schöne Kleinigkeit für das Besuchskind. Als kleine Aufmerksamkeit vielleicht.
- Das Kind spielt im Kindergarten so gerne mit der Eisenbahn, dann wäre das für zu Hause doch auch eine sinnvolle Alternative.
- Der Nachbar erzählt, dass sein Sohn mit einem ganz besonderen Spielzeug gerne spielt, vielleicht wäre das auch etwas für uns.
- Ein Geburtstag oder Weihnachten steht an und die Verwandten möchten alle etwas schenken, am liebsten zum Spielen.
- Diese Babyrassel ist zu niedlich. Und teuer ist sie auch nicht. Das kaufe ich gerne.
- usw ….
Diese Liste könnte man endlos fortsetzten und die Beweggründe sind vielfältig. Leider passiert dann häufig genau dies, ein Kinderzimmern (oder die gesamte Wohnung) wird überladen und die Kinder können in keinen echten Spielfluss kommen. Was kann man dagegen tun?
Ist Spielzeug für die Entwicklung eines Kindes nötig?
Man sollte sich zunächst bewusst machen, dass Kinder für eine gute und gesunde Entwicklung keine Spielsachen benötigen.
Dennoch sind Spielsachen nichts Schlechtes. Sie können die Entwicklung unterstützen, wenn die Auswahl stimmt und dem Entwicklungsstand angepasst ist.
Kinder im Alter bis zu 3 Monaten benötigen überhaupt kein Spielzeug. Mit 3 Monaten beginnt das Kind zu greifen. Hier eignet sich zum Beispiel ein Oball oder eine leichte Rassel. Genauso könnte man seinem Kind in diesem Zeitraum auch einen Plastiklöffel oder einen kleinen Schneebesen in die Hand geben. Kinder erfahren in dieser Zeit das erste greifen und die Haptik, also das sich unterschiedliche Materialien auch verscheiden anfühlen.
Mit 6 Monaten beginnt eine Phase die sich Ursache-Wirkungs-Phase nennt. Eine sehr spannende Phase, denn hier werden die ersten Zusammenhänge erschlossen. An diesem Zeitpunkt ziehen schnell Plastikgeräte ins Haus ein. Wenn man auf einen Kopf drückt, blinkt es oder es wird ein Lied gespielt. Das muss aber gar nicht sein. Der Oball kann auch hier wunderbar weitergenutzt werden. Zunächst ganz einfach: Wenn ich den Ball fallen lasse, rollt er weiter. Man kann aber noch viel mehr damit machen. Eltern können z.B. ein Tuch in den Ball stecken und die Kinder versuchen dieses herauszuziehen. Ursache: ich ziehe – Wirkung: das Tuch kommt heraus. Stapelbecher können hier auch bereits Einzug halten: Papa, baut den Turm auf – ich stoße ihn an – der Turm fällt um. Selbstverständlich kann man auch diese Phase ganz ohne Spielsachen begleiten, aber hier können sie wirklich sinnvoll sein. Diese Ursache – Wirkungsphase hält sehr lange an und überlappt sich mit vielen weiteren Phasen.
Mit ca. 1 Jahr kommt eine starke Bewegungsphase. Kinder versuchen zu klettern, zu toben, die ersten Gehversuche entstehen. Hier kann der Oball immer noch gut genutzt werden. Der Ball wird geworfen, rollt davon und das Kind fängt ihn wieder ein. Ganz egal ob es robbt, krabbelt oder läuft. Toben und Klettern kann man aber auch ganz wunderbar im Bett, auf dem Sofa oder auf dem Spielplatz. Ein Rutsch – oder Schiebetier kann hier weitere Anreize bieten.
Für die Feinmotorik kann man hier nun die Stapelbecher weiterverwenden. Kinder können hier beginnen, diese aufeinander zu stapeln, erfahren weiterhin das Ursache – Wirkungsprinzip und haben gleichzeitig die Möglichkeit Erfahrungen mit Größe und Stabilität zu machen. Häufig gibt es diese Stapelbecher auch mit Besonderheiten in der Oberfläche. So können diese gleichzeitig noch für Wasserspiele in der Badewanne oder Sandspiele im Sandkasten genutzt werden.
Mit 2 Jahren steht der Spracherwerb im Vordergrund und die Imitation-Phase beginnt. Das bedeutet, dass Kinder all das Nachahmen was sie bei Erwachsenen sehen. Ganz häufig ist dies der Einstieg in die Küchen – oder Kaufladenwelt. Hier kann beides auf ganz natürliche Weise verbunden werden. Die Kinder ahmen das Verhalten der Erwachsenen und nach und diese können das Spiel sprachlich begleiten: „Kann ich bei dir heute einen Apfel kaufen?“
Aber auch hier zählt der Leitspruch: „Weniger ist mehr“ Weder eine Küche noch ein Kaufladen müssen von Beginn an „vollständig“ ausgestattet sein. Schenkt man den Kindern zunächst nur das Grundgerüst, kann man sie beim Spielen auch genau beobachten und feststellen, welche Zusatzmaterialien sie denn noch benötigen. Anstelle von fertigem Geschirr, können hier die Stapelbecher zunächst als Kaffeetassen, Gläser oder Kochtöpfen diene. Der O – Ball kann auf Grund seiner Form, zum Salat werden. Lassen Sie der Phantasie der Kinder freien Lauf.
Wenn man aus der Beobachtung heraus feststellt, welche Spielsachen noch schön dazu wären, dann schenken Sie diese zum nächsten Anlass. Oder geben Sie Großeltern und Verwandten Tipps. So hat nicht nur jeder ein Geschenk, sondern das Spielobjekt bleibt durch die Veränderung auch spannend. Es kann sich mit dem Kind weiterentwickeln.
Mit 3 Jahren beginnt die Konstruktionsphase. Kinder beginnen hier ihre eigene Welt zu konstruieren. Das bedeutet, dass sie sich aktiv damit auseinandersetzten und Lebenswelten schaffen. Sie entwickeln eigene Spiele, aus ein paar Autos werden plötzlich ganze Straßenszenen und noch vieles mehr. Kinder in diesem Alter können gefühlt alle Gegenstände benötigen. Ganz egal ob Spielsachen oder Alltagsgegenstände. Aus einer Fernsehbedienung kann eine Ampel für die Autos werden. Hier wird ganz deutlich, wie viel Phantasie in den Kindern steckt. Sie benötigen keine vorgegebenen Dinge, um selbst kreativ zu werden. Einfache Bausteine reichen zum erschaffen von Welten.
Mit etwa 4 Jahren beginnen Kinder mit dem Rollspiel und der So – tun – als – ob – Phase. Verkleiden und in andere Rollen schlüpfen ist nun häufig angesagt. Denn Kinder sind erst setzt in der Lage sich auch kognitiv in andere Menschen oder Figuren hinein zu versetzten und ihre Perspektive einzunehmen. Neben dem klassischen Rollenspiel und Verkleidungen passiert genau dieser Vorgang auch beim intensiven Spiel mit Puppen, Tieren oder ähnlichem. Auch der „Bau“ einer geeigneten Behausung gehört hier dazu.
Gesellschafts- und Regelspiele finden häufig mit dem Eintritt in den Kindergarten statt. Neben Konzentration und Ausdauer, setzt ein Tischspiel auch Gruppenfähigkeit und das Verständnis der manchmal recht komplizierten Spielregeln voraus. Aus diesem Grund wird von einem richtigem Regelspiel erst ab dem 5. Lebensjahr gesprochen. Vorher werden die
Regeln zwar umgesetzt und auch eingehalten, aber häufig nicht verstanden.
Wenn man sich diese Entwicklungsschritte bewusst macht, sein Kind beobachtet und sich immer wieder das weiße Zimmer vor Augen hält, so hat man einen groben Leitfaden für die Spielzeugauswahl.
Warum ist es manchmal dennoch so schwer? Achtung Konsumfalle! Woher weiß man, was zu viel ist? Ja, viele Kinder haben zu viel, aber werden durch diese Geschenke nicht auch eigene Wünsche erfüllt? Hätten wir Erwachsenen diese Eisenbahn früher gerne gehabt? Oder: Dieses Holzspielzeug ist schön, da kann man sich nur darüber freuen. Und dann noch aus Holz. Pädagogisch wertvoll.
Auch Angst spielt immer wieder eine Rolle bei der Kaufentscheidung. In der Werbung heißt es, mit diesem Spielzeug wird die Sprachentwicklung oder motorische Entwicklung unterstützt. Wenn mein Kind dies nicht hat, vielleicht hat es später irgendwelche Nachteile. Es ist daher oft ratsam die eigene Kaufmotivation zu hinterfragen.
Altes Spielzeug ist nicht gleich uninteressant und Spielpausen nicht gleich Desinteresse
Es ist wichtig, dass Eltern die Kinder beim Spielen beobachten. Was ist gerade interessant? Mit was beschäftigen sich die Kinder intensiv und ausdauernd? Genau dieses Spielzeug ist im Moment das Richtige. Alles andere könnte theoretisch weg. Sobald das Kind das Interesse an dem aktuellen Lieblingsspielzeug (oder aktuellen Spielphase) verliert, kann das Spielzeug ausgetauscht werden. Austauschen bedeutet nicht gleich abgeben. Denn Spielsachen können mitwachsen (wie am einfachen Beispiel des Oballs oder der Stapelbecher).
Aber auch Holzbausteine oder ein Auto, das eine Zeit lang ganz aktiv bespielt wurde, kann nach einer Pause wieder neu entdeckt werden. Kinder entwickeln sich weiter. Vor allem in ihren Fähigkeiten. Und mit neuen, eigenen Fähigkeiten, können Spielsachen ganz neue Spielmöglichkeiten bieten. Aus diesem Grund ist auch die Qualität von Spielzeug unheimlich wichtig. Denn wenn es lange zum Einsatz kommen soll, muss es einiges aushalten können.
Bis dahin ist es ein Prozess. Ein Prozess indem man zwischendrin das Gefühl bekommen kann, ich muss meinem Kind jetzt etwas anderes anbieten. Es langweilt sich. Langeweile ist aber gar nichts Schlechtes. In dem Wort Langeweile stecken die Worte „eine lange Weile Zeit“ für etwas. Die Zeit können Kinder nutzen um sich weiterzuentwickeln und neue Ideen zu finden. Wenn man als Eltern an diesem ansetzt und versucht, ein anderes Spielmaterial (welches nicht vom Kind aktiv gewünscht wird) anzubieten, oder das Kind hier mit unterschiedlichen Beschäftigungen abzulenken, so greift man in diesen Prozess ein. Vertrauen Sie ihrem Kind. Genau dieses Gefühl, eine Zeit lang mit nichts richtig anfangen zu können, unterstützt die Entwicklung und Phantasie des Kindes.
Elternsein bedeutet auch Aushalten. Und genau an diesem Punkt befindet man sich dann. Eltern müssen diese Langeweile der Kinder auch einmal aushalten können, ohne ihnen sofort neue Impulse oder Spielsachen anzubieten. Dadurch können Kinder wachsen. Das kann mitunter für beide Seiten anstrengend sein. Vertrauen sie ihrem Kind. Sie müssen nicht sofort handeln. Es ist ein ganz natürlicher Schritt das Spielzeug zur Nebensache oder uninteressant wird. Und Eltern müssen gar nichts tun. Wenn Kinder qualitativ hochwertige Spielsachen haben, und vor allen Dingen Spielsachen, die nicht nur ein bestimmtes Spiel vergeben, so ist es wichtig, dass diese Spielsachen auch in Reichweite bleiben. Ein Baustein kann nur zum Gartenzaun umfunktioniert werden, wenn er für die Kinder auch greifbar ist. Ein anderes Beispiel wäre, dass das Kind mit den Bausteinen aktuell nicht mehr spielt, aber ein Geburtstag ansteht. Wird nun ein Holztier dazu geschenkt, kann aus dem Baustein z.B. ein Gartenzaun werden. Viele Bausteine hintereinander umzäunen das Tier. Durch Zufall fällt ein Stein und ein Dominospiel entsteht,.....
Aus demselben Spielzeug entwickeln sich so die unterschiedlichsten Spielformen und Arten. Einfach nur durch beobachten, aushalten und dem Kind die Möglichkeit bieten, sich mit seinem Spielzeug weiterzuentwickeln.
Was also tun, um die Spielzeugflut in den Griff zu bekommen:
- Weniger, dafür qualitativ hochwertiges Spielzeug auswählen.
- Vor dem Kauf überlegen: Wofür haben wir Platz (Eine Eisenbahn ist nur sinnvoll, wenn sie auch aufgebaut werden kann
- Viele Spielzeuge sind auf permanenten Zukauf ausgerichtet. Es lohnt sich daher, sich rechtzeitig für eines davon zu entscheiden.
- Welche Spielzeuge sind vorhanden und können sinnvoll ergänzt werden. (1 Puppe mit viel Zubehör kann sinnvoller sein, als 7 verschiedene Puppen ohne Kleidung, in einem anderen Kinderzimmer können 8 Fahrzeuge aber auch viel sinnvoller sein, als 1 Auto mit Straße)
- Behalten Sie ihr in Kind im Auge. Mit was kann es sich beschäftigen?
- Abwechslung ist gut, deswegen muss das Lieblingsspielzeug aus dem Kindergarten nicht auch zu Hause vorhanden sein oder umgekehrt.
- Zu viel Kleinzeug verstopft das Kinderzimmer.
- Verwandte bringen gern etwas mit. Bitten Sie um Verbrauchsmaterial wie: Stifte, Blocks, Klebstoff, Knetmasse, Straßenkreide und Bastelmaterial.
- Stofftiere sind so niedlich. Vielleicht können Sie einem Kauf leichter widerstehen wenn Sie sich klar machen, dass zu viel Auswahl Ihr Kind nur davon abhält, ein wirkliches Lieblingskuscheltier zu finden.
Überlegen Sie sich, wie würden Sie Ihren weißen Raum am liebsten einrichten?
Dieser Beitrag wurde am 20.8.2016 veröffentlicht.
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